... erstmal nur der Text - die Bilder sind noch in Arbeit

Kulturelle Identität

"Samoa mo Samoa" hieß das Motto der samoanischen Unabhängigkeitsbewegung, "Samoa den Samoanern". Wem sonst ... ? So würde man es heute sehen, wo koloniale Gelüste großer Staaten der Vergangenheit angehören.

Was brauchen wir Kanonenboote - wir haben doch unsere Wirtschaftsmacht, meinen einige. Oder die weltweite Attaktivität bestimmter Konsumgüter und Unterhaltungskünstler. Keine politische, sondern eine wirtschaftliche und kulturelle Kolonialisierung?

Sicher nicht in Samoa. Gerade weil es ein kleines Land ist, hat es besonders stark mit diesem Problem zu kämpfen. Aber gerade deshalb auch ist man sich dieses Problems auch besonders bewußt.

Es beginnt bei der Sprache. Zwar ist Englisch Geschäfts- und auch Gerichtssprache. Aber nicht wirklich Umgangssprache, selbst in Amerikanisch-Samoa nicht! Man kann und kennt es, benutzt Englisch vor allem immer dann, wenn es um Geschäfte geht, um sachliche, konkrete Dinge. Aber wenn es um den einfachen Schwatz geht, um Familiendinge gar, um Scherze, Klatsch und Tratsch, da eignet sich Englisch wirklich nicht. Die samoanische Sprache ist viel ungeregelter, erlaubt viel mehr Nuancen, Bilder und vor allem auch Wortspiele. Sobald es irgendwie persönlich wird, Gefühle ins Spiel kommen, man sich so richtig ausdrücken will, wird ins Samoanische gewechselt oder eine unnachahmliche Mischung aus Samoanisch und Englisch gesprochen, je nachdem, welche der beiden Sprachen den gerade treffenderen Begriff bereit hält.

Auch in den Kirchen wird Samoanisch gesprochen, manchmal ergänzt durch eine kurze englische Zusammenfassung für die anwesenden Palagi. Die Bibelübersetzung, schon in den ersten Jahren der Missionierung, hat für den Erhalt der samoanischen Sprache und Kultur eine ganz wesentliche Bedeutung gehabt - dies wird heute immer klarer.

Für nahezu jedes englische Wort ohne traditionelle Entsprechung im Samoanischen gibt es eine meist lautgetreue samoanische Fassung. Computer = Komipiuta, Icecream = Asikulimi - beide Worte hören sich, samoanisch ausgesprochen, genau wie das englische Original an. So, als würden wir im Deutschen "Hämbörger" schreiben, "daunloden" oder "Imehl".

Oder man erfindet ein neues Wort: "laua" = der Stock, "laau malosi" = der starke Stock = das Gewehr. Treffend und bildhaft. Samoanisch eben.

Ein weiteres Beispiel ist die Architektur. Klar, die Kolonialherren bauten in ihrem eigenen Stil, nicht rund oder oval, wie die Samoaner, sondern rechteckig. Und eine Zeit lang kopierten die Samoaner diesen Stil. Irgend jemand kam dann auf die Idee, seinem rechteckigen Haus an beiden Schmalseiten einen trapezförmigen Erker anzusetzen. Alles aus Stein und Beton, heute selbstverständlich, weil wirbelsturm- und erdbebensicherer.

Sofort wurde diese Idee aufgenommen und sehr viele, auch große Häuser, werden heute in diesem Stil gebaut, der Erker sogar richtig rund, wie es sich gehört. Macht viel Arbeit, kostet auch richtig Geld. Aber - das ist es den Bauherren eben auch wert, wenn sie dafür ein Haus haben, das genau die Form hat, wie sie einem Samoaner eben vorschwebt. Das neue Verwaltungsgebäude der Berufsgenossenschaft, mitten in Apia, ist aus Stahl und Beton, hat eloxierte Aluminiumfassaden, braun getönte Fenster, fünf Stockwerke und sogar ein Parkhaus innen drin, das erste des Landes. Ein futuristischer Prachtbau, allemal. Aber es ist oval, was sonst?

Samstag abend, 23.00 Uhr in "Beggars Bar", einem der hiesigen Nightclubs. Nicht im deutschen Sinne, sondern eine Mischung aus Kneipe und Disco. Man sitzt an kleinen Tischen oder steht an der Bar, trinkt sein Bier und versucht, im Gespräch die laute Live-Musik zu übertönen. Ein Drittel der Gäste tanzt auch - jeder, was er oder sie mag. Die neuesten Hits aus aller Welt, gelegentlich auch mit samoanischem Text. Viele Oldies auch dabei, aus den siebziger und achtziger Jahren. Das Publikum bunt gemischt, alle über 18 Jahren natürlich, Durchschnittsalter so um die 35 Jahre. Ein paar alte Leute auch dabei, auch auf der Tanzfläche.

Plötzlich spielt die Band ein altes samoanisches Lied. Und die Tanzfläche ist voll wie nie. Frauen vorne, Männer hinten, samoanischer Tanz vom Feinsten. Jeder kann es, absolut jeder. Und hat auch seine Freude daran. Tosender Beifall belohnt die Band, die dann wieder zu ihrem gewohnten Repertoire übergeht.

Könnten Sie sich das in Deutschland vorstellen? In einer Tanzkneipe, gar einer Disco, voll mit jungen Leuten? Vielleicht irgendwo in Bayern, ich weiß es nicht. Dass plötzlich ein Schuhplattler erklingt und alle Männer springen auf und tanzen ihn ... Jedes Alter? Und mit Begeisterung? Einfach so, mal eben zwischendurch?

Weil jede Samoanerin und jeder Samoaner eben auch heute noch in allererster Linie Samoanerin und Samoaner ist, und dann erst Frau oder Mann, Jung oder Alt, Minister oder Plantagenarbeiter, reich oder arm. In Samoa lebt oder zu Besuch aus Neuseeland ist.

Für einen Deutschen hier in Samoa sehr interessant und nachdenkenswert. Weil so gänzlich anders ist als das "nationale" Gehabe, wie es sich gerade mal wieder rührt, im fernen Deutschland. Es geht nicht einmal um Nationalstolz, in erster Linie, und schon gar nicht darum, sich irgend wem anders gegenüber als "Herren" aufzuspielen. Nein, es ist Freude. Man freut sich, Samoaner zu sein, dazu zu gehören, dies auszudrücken als wichtigen Bestandteil der eigenen Identität, des eigenen Selbst-Bewußtseins, im wohl verstandenen Sinne. Nicht als Kraftmeierei, schon gar nicht als Bedrohung anderer. Und darauf mag man dann auch getrost stolz sein, ganz anders als ich auf die alten und neuen "Nationalen" da in Deutschland.