... erstmal nur der Text - die Bilder sind noch in Arbeit

Stellen Sie sich mal vor ...
(was ich Besuchern immer zu Land und Leuten erzähle)

Wenn wir mit Besuchern hier über ihre Eindrücke und Erlebnisse sprechen, kommt ein Punkt fast immer in den Mittelpunkt. Warum Dies oder Das so ist, wie es ist? Nun, eigentlich ist das meistens gar nicht schwer zu erklären: weil das Land so klein ist und so isoliert. Fast alles hier läßt sich, neben den klimatischen Rahmenbedingungen, wenigstens zu einem großen Teil auf diesen einen Faktor zurück führen.

Jeder versteht das, natürlich, aber es ist trotzdem sehr schwer nachzuvollziehen, vor allem für Deutsche. Warum? Weil Deutschland in der Mitte Europas liegt, Isolation überhaupt nicht kennt - eher im Gegenteil. Nur (ehemals) West-Berliner haben eine Idee davon, was "Insellage" bedeutet (samt "Inselkoller").

Ich versuche, es unseren Besuchern dann in folgender Weise vorstellbarer zu machen: Nehmen Sie an, Sie leben auf dem Lande - aber so richtig. Bayerischer Wald, Schwarzwald, Rhön, Spessart, Hunsrück, Sauerland, Harz, Thüringer Wald, Erzgebirge, Spreewald. Oder in einem der großen Flächenlandkreise Norddeutschlands, gar im Emsland. Eine Kreisstadt - etwa 5.000 Einwohner im Kern. Und nun kommt eine himmlische Macht, schneidet diese Gegend fein säuberlich aus der Landkarte und versetzt sie mitten in den Ozean - irgendwo in die Gegend weit südlich der Kanarischen Inseln. Deutschland bleibt erhalten - der Rest Europas wird unter Wasser getaucht.

So. Und nun leben sie dort - auf Ihrem Eiland mitten in der Wasserwüste. Das Wetter ist besser als früher, prima. Aber der Rest? Der Kreistag beschließt sofort die Unabhängigkeitserklärung, wird Parlament, der Landrat ist jetzt Ministerpräsident, die Dezernenten heißen jetzt Minister. Aber es sind natürlich die gleichen Leute wie zuvor.

Wenn Sie Glück haben, gibt es wenigstens einen größeren Industriebetrieb in Ihrem neuen Land. Aber der muß nun sehen, dass er mit seinen Zulieferern und Kunden über den langen Seeweg hinweg klar kommt. Ein richtiger Hafen wird gebraucht und ein großer internationaler Flughafen. Und wer bezahlt das alles? Und was ist mit der Bundesstraße? Wer hält die in Schuß? Alles aus dem kleinen Haushalt des ehemaligen Landkreises?

Die Versorgung wird erheblich schwieriger jetzt. Hundert verschiedene Sorten Schokoriegel? Für dies kleine Ländchen? Aber nicht doch - zehn reichen auch. Und zwei Zigarettenmarken. Und eine Tankstellengesellschaft. Und wenn Ihre Sorte Müsli mal für eine Woche oder zwei nicht im Regal steht, dann müssen Sie eben eine andere nehmen. Oder es gibt nur ein einziges Geschäft im Landkreis, pardon, Lande, wo sie sowas überhaupt bekommen.

Na, werden Sie sagen, falls sie zufällig in einer der oben genannten Gegenden wohnen, das ist doch im Prinzip bei uns auch nicht anders, auch ohne mitten im Ozean zu liegen. Drei Ärzte, zwei Zahnärzte und ein kleines Kreiskrankenhaus. Und so weiter.

Eben. Hat alles gar nichts mit Samoa zu tun, eigentlich. Nur mit der Größe des Gebietes. Und was dem Bewohner des Bayerischen Waldes sein Nürnberg oder gar München, dem Schwarzwälder sein Stuttgart ... - das ist dem Samoaner eben Auckland in Neuseeland oder Honolulu auf Hawaii. Dort leben auch die "ausgewanderten" Verwandten, dort gehen die Kinder auf die Uni, dort bekommt man alles, was es zu Hause nicht gibt. Und man bringt den Verwandten auch richtig was mit, wenn man sie besucht. Die heimischen Spezialitäten, frisch geschlachtet, die leckere Wurst und die Produkte des Gartens. Und wenn einer schwer krank ist, dann wird er auch dort hin geflogen, in die Spezialklinik.

Alles ganz wie in Samoa - und nun kennen auch Sie sich auch gleich etwas besser aus hier, oder? Klar, dass die heimische Kultur bei Ihnen auf dem Lande noch erheblich mehr gepflegt wird, als in der Großstadt. Genauso ist es mit der Mundart, die Sie auf dem Lande sicher noch mehr schnacken oder schwätzen als Ihre Verwandten in der Stadt. Richtig? Eben.

Aber wenn ich dann manchmal höre, wie sich Besucher beklagen über Entwicklungshilfe und dass "uns" das ja eigentlich nichts anginge ... Nun - kann sich etwa auch nur eine der oben genannten Regionen in Deutschand selbst erhalten? Mal ganz davon zu schweigen, dass sie nicht allein im Ozean liegt.

Kann sie nicht und deshalb gibt es Programme zur "Regionalen Wirtschaftsförderung", Agrarbeihilfen und vielfältige andere Instrumente in den Bundesländern, in Deutschland und in der Europäischen Union. Und weltweit natürlich auch, wovon dann Samoa ebenfalls seinen Teil ab bekommt. Und auch was draus macht - dies nur nebenbei gesagt.

Das ist überhaupt nicht so uneigennützig, wie es zunächst aussieht. Oder - um nur ein Beispiel zu nennen - warum fördert die hessische Landesregierung wohl die Industrieansiedlung im Spessart? Na logisch, damit die Leute aus dem Spessart dort Arbeit finden und nicht alle nach Frankfurt ziehen wollen. Oder die Süditaliener nach Norditalien oder noch weiter nördlich. Und die Samoaner nach Neuseeland.

Deshalb nimmt es nicht Wunder, dass die neuseeländische Regierung einer japanischen Firma, die viele ungelernte weibliche Arbeitskräfte beschäftigt, Beihilfen zahlt für die Transportkosten von und nach Samoa. Die zahlen keine hohen Löhne, aber für Samoaner wären sie allemal attraktiv. Wäre die Fabrik in Neuseeland gebaut worden, hätten Hunderte, wenn nicht gar Tausende von Samoanern versucht, dort hin zu kommen, das ist sicher. Mit allen Folgen für das neuseeländische Gemeinwesen, für Kindergärten, Schulen, Gesundheitswesen. Klar, die Leute hätten auch Steuern gezahlt und Sozialabgaben - aber nicht sehr viel, weil die Löhne ja niedrig wären.

So war es billiger für die Neuseeländer, die Firma bei der Ansiedlung hier in Samoa zu unterstützen, wo sie jetzt der größte private Arbeitgeber ist und die Wirtschaft des Landes erst so richtig in Schwung gebracht hat. Ja, genau, das ist so, als wenn VW beschließen würde, im Spessart eine Fabrik zu bauen. Und was würden sich die Gemeinden dort drum reißen, die zu bekommen. Ein Grundstück erschließen und wer weiß was noch alles. Und natürlich würde auch die hessische Landesregierung das Vorhaben gerne unterstützen, von weiteren Mitteln aus dem Bundeshaushalt oder EU-Fördertöpfen ganz zu schweigen. Eben.

Es ist eine Welt inzwischen und die Menschen sind mobil geworden. Jeder sucht sein Glück und sein Auskommen, wie und wo immer es geht. Soll er nicht? Lieber zu Hause bleiben und arbeitslos? In einer Hütte wohnen, die zugegebenermaßen sehr malerisch aussieht, so ein richtig tolles Motiv für ein Urlaubsfoto ist. Das war gemein, ich weiß. Aber ehrlich. Sie könnten ja tauschen ...

Nein, da halte ich mich an meinen Schwager. Der saß 1986 mit uns Besuchern aus Deutschland im Häuschen der Familie. Und einer von uns schwärmte über Samoa, das einfache Leben, wie wenig materiell das alles sei. Und so weiter. Und irgendwann meinte mein Schwager dann, er wäre ja dreizehn Jahre zur Schule gegangen, hätte an der hiesigen Fachhochschule studiert. Nun sei er 23 Jahre alt, würde mit seinem Einkommen die Familie versorgen (immerhin neun Köpfe). Sei es wirklich vermessen, wenn er sich wünsche, auch einmal eine eigene Uhr zu besitzen, ein zweites Paar Jeans und vielleicht sogar ein eigenes Radio? Da waren wir vorlauten Romantiker aber stille, das können Sie mir glauben ...

Inzwischen lebt er in Neuseeland, mein Schwager, und hat dies alles. Und wäre er in Samoa geblieben, hätte er es mittlerweile auch - das ist sicher. Das Häuschen der Familie hat inzwischen ja auch einen Stromanschluß, Telefon und Fernsehen. Die gemütliche Kerosinlampe am Abend ist nicht mehr. Irgendwie schade, stimmt schon. Aber - irgendwie ja wohl auch verständlich und den Leuten zu gönnen. Gearbeitet haben sie jedenfalls reichlich und hart dafür, das ist sicher - als es dann endlich Arbeit gab. Und vorher auch schon, auf der Plantage oder beim Fischfang. Oder sehen Sie das anders?

Ihr

Werner Kappus