Zum Thema: Paradies

Es ist ja so eine Sache mit dem Paradies. Jemand sagte einmal "Das Paradies ist immer dort, wo ich gerade nicht bin". Und wahrscheinlich trifft das bei vielen Menschen den Nagel auf den Kopf. Alles, was man nicht hat, aber gerne hätte, und dazu noch im Überfluß - das ist "Paradies".

Passt gut auf Samoa, jedenfalls aus deutscher Sicht: immer warm, immer Sonne. Die wirklich verregneten Tage im Jahr kann man an einer Hand abzählen. Wer genügsam ist, braucht sich um sehr wenig zu sorgen. Irgendwas gibt es immer zu essen, ein Dach über dem Kopf hat auch jeder und mit dem Inhalt eines durchschnittlichen deutschen Kleiderschranks kann man in Samoa mindestens ein Jahrzehnt gut über die Runden kommen. Paradiesisch - fürwahr.

Wer es biblisch wörtlich nimmt, mit dem Paradies, wird hier allerdings ein paar Dinge vermissen. Paradiesische Nacktheit ist nicht, freie Liebe schon gar nicht. Wer das sucht, der bleibe lieber am deutschen Baggersee. Und trotz aller Freundlichkeit der Menschen geht es auch nicht immer paradiesisch friedlich zu, vor allem in den Familien. Streit, Neid, Klatsch und Eifersucht blühen und leicht wird Zwietracht auch handgreiflich ausgetragen. Häusliche Gewalt, gegen Frauen, vor allem auch gegen Kinder, ist leider in Samoa nicht seltener als in Deutschland. Und das Miteinander von Mensch und Tier ist ebenso unparadiesich.

Das war übrigens schon immer so, ist nicht auf den "schlechten Einfluß" der Weißen zurückzuführen. Nicht umsonst gaben die ersten Entdecker den Samoainseln den Namen "Kriegerinseln". Man kämpfte seit Jahrhunderten um Land und Macht, Blutrache herrschte. Und immer wieder mußten sich die Samoaner gegen Invasionen aus Tonga und Fiji zur Wehr setzen, lange vor den weißen Kolonialherren. Bis heute gilt der wehrhafte Krieger viel in Samoa, sind Rambo und seine Kumpanen die Helden des samoanischen Kinopublikums. Den "Sündenfall" hatte es also auch hier gegeben, sogar ohne Schlange und Apfelbaum.

Wie konnte es dann sein, dass die Südseeinseln den Ruf des Paradieses erhielten - trotz aller gegenteiligen Erfahrungen der Seefahrer früherer Zeiten? Denn James Cook wurde in Hawaii erschlagen, Fernando Magellan auf den Sundainseln - auch nicht weit von hier. John Williams, der Samoa missonierte, zog von hier ins heutige Vanuatu, gleich nebenan, und wurde dort aufgegessen. Seinen Kopf gab man dann, nach der Bekehrung, mit vielen Entschuldigungen zurück - er ist an der Beach Road in Apia bestattet, ganz in der Nähe von Aggie Grey's Hotel.

Es muss an der Seefahrt vergangener Jahrhunderte gelegen haben. Stellen Sie sich vor, sie wären ein englischer Bauer gewesen, so um 1770 herum, der seine paar Schafe auf dem Land eines hochnäsigen adligen Gutsherrn weidete. Ein Preßkommando der Marine verschleppte Sie auf ein Segelschiff und dann ging es sechs Monate oder länger auf Reise. Um Kap Hoorn herum, in drangvoller Enge unter Deck, bei miesester Verpflegung (Salzfleisch und Hartbrot), wenig Wasser, schlechter Behandlung, Stock und Peitsche immer drohend.

Und plötzlich tauchen dann grüne Inseln auf. Palmen säumen den Strand - Wasser und Essen gibt es im Überfluß. Die Menschen sind neugierig, die Mädchen gar nicht so zugeknöpft wie im heimischen England. Nach drei Monaten dort müssen Sie wieder auf See - zurück in die Schinderei. Was würden Sie wohl erzählen, wenn Sie dann wieder in England wären? Über die Südsee, wo Sie gerade herkommen. Vom Paradies ...

So ist das gewesen und das strenge Regiment der Häuptlinge, die barbarischen Strafen bei Verstoß gegen die Regeln, die Kämpfe der Insulaner untereinander blieben dabei unerwähnt - waren ja auch nicht auffallend, nicht anders als die Sitten an Bord oder zu Hause in England, wo man wegen Diebstahls eines Brotes aufgehängt oder nach Australien deportiert werden konnte. Nicht der Erwähnung wert.

Berichtet wurde von dem, was anders war als zu Hause - sonnigem Wetter, Nahrung im Überfluß, Kleidung kaum zu sehen. Paradies eben. Selbst spätere Besucher fielen auf den Schwindel herein, die bekannte Völkerkundlerin Margret Mead beispielsweise ("Kindheit und Jugend in Samoa"). Oder der Filmkünstler Flaherty, auch um 1920 herum ("Moana"). Beide waren Kinder ihrer Zeit - suchten die Unschuld des Paradieses, fern der strengen Regeln der bürgerlichen Gesellschaft. Spätere Besucher befragten die noch lebenden Interviewpartner und Filmdarsteller und kamen der Wahrheit auf die Spur. Mit reichlich lukrativen Versprechungen und alternativ der Androhung von Prügel waren sie "überzeugt" worden, den Besuchern zu erzählen, was sie offensichtlich hören wollte und im Film immer zu lachen, egal was passierte. So entsprach man dem Geschmack und den Erwartungen des Publikums. Weil eben nicht sein konnte, was nicht sein durfte. Kein Vorwurf - heutzutage ist das allemal genauso.

Viel falsche Erwartungen hat auch "Der Papalagi" geweckt, der angebliche Reisebericht eines samoanischen Häuptlings nach Rückkehr aus Deutschland, um 1900 herum. Alles Schwindel, wenn auch vergnüglich zu lesen und voller Wahrheiten, über die sich nachzudenken lohnt. Auch nicht ganz völlig unsamoanisch in der Betrachtungsweise - man merkt schon, dass der Autor in Samoa gelebt hat. Aber ein Samoaner hätte wirklich über ganz andere Dinge berichtet, ganz sicher, und auch ganz anders.

Nein, da hat ein deutscher Kulturkritiker sich hinter einem "edlen Wilden" versteckt, dem man vielleicht eher zuhörte und glaubte als ihm selbst. Wenn Sie also dieses Buch lesen oder schon gelesen haben, dann denken Sie ruhig darüber nach. Aber nehmen Sie es bitte nicht ernst als Information über Samoa und die Samoaner. Ähnlich ist es übrigens mit dem berühmten Spruch des Sioux - Indianerhäuptlings über die Naturzerstörung der Weißen - ". .. und wenn der letzte Baum gefällt ist ... werden sie merken ... dass man Geld nicht essen kann ...". Hochberühmt, dieser Spruch (und allemal wahr) - aber von einem weißen Journalisten erfunden und dem Indianer in den Mund gelegt, weil man dem vielleicht eher glaubte. Hat ja auch geklappt, der Trick.

Manch' ein europäischer Besucher hier in Samoa ist enttäuscht, gar böse, dass es bei genauerem Hinsehen nicht ganz so paradiesich ist, wie er sich das vorgestellt hatte. Aber, bitte, was können die Samoaner oder die anderen Südseeinsulaner dafür, dass die Europäer so falsch - oder wenigstens einseitig auswählend - über den Pazifik erzählten? Gar nichts! Die bunten Reisebroschüren versprechen Ihnen ja auch das Paradies, sozusagen das Blaue vom Himmel. Ist nicht einmal gelogen, blauen Himmel werden Sie finden.

Dabei ist Samoa eigentlich viel interessanter als das Paradies. Finden wir jedenfalls, die wir hier leben. Und mal ganz ehrlich: was nützt Ihnen ein Blick ins Paradies, wenn Sie dann wieder weg müssen? Dahin übrigens, wo für viele Samoaner das Paradies liegt ... Wo es so tolle große Häuser gibt, immer alles so sauber und aufgeräumt ist, wo man unvorstellbar hohe Löhne hat - in Samoa ist der Mindestlohn DM 1,50 pro Stunde. Wo auch "normale" Menschen einen Mercedes oder BMW fahren können. Und so weiter.

Ein samoanischer Verwandter stellte mir einmal eine ganz persönliche Frage. Wir kamen gerade an einen dieser "Traumstrände" - weißer Sand, blaues Meer, Palmen zuhauf. Und er meinte, ob ich es ihm erklären könnte ... Warum die Weißen immer so begeistert seien, wenn sie das sähen. Wäre doch bloß ein stinknormaler Strand ... Und sie, die Weißen, hätten doch so irre Schwimmbäder, da zu Hause. Mit Kacheln überall ... Und Disneyland. Das wäre doch alles viel toller!

Es muss einen Grund haben, dass fast ebenso viele Samoaner außerhalb Samoas leben, in Neuseeland, Australien, Hawaii und Kalifornien, wie im Lande selber. Praktisch jeder, der irgendwie die Chance bekommt, geht weg von hier. Weg von den einfachen Lebensbedingungen, den schlechten Löhnen, dem ewigen Druck der Familie. Die noch hier sind, träumen davon, nach "draußen" zu gehen. Und die, die "draußen" sind, haben Heimweh, träumen davon, wieder nach Samoa zurückzukehren. Ja, vielleicht ist das Paradies wirklich immer da, wo man gerade nicht ist.

Enttäuscht? Das sollten Sie nicht sein, oder nur ganz wörtlich - nicht mehr getäuscht. Denn gerade diese so unterschiedliche Betrachtungsweise über das, was "Paradies" ist, macht die Sache wirklich interessant. Wenn Sie am Traumstrand sitzen, erfrischt vom Bad in der blauen Lagune, die frische Kokosnuss schlürfen, die Ihnen ein netter Junge gerade vom Baum geholt hat. Und mit dem dann über Europa reden, seine sehnsuchtsvollen Augen sehen. Paradies ....

Denn Samoa ist in Wirklichkeit eben weit mehr als nur ein Blick ins Paradies. Weil Sie hier erkennen können, dass das wirkliche Paradies vielleicht etwas anders aussieht, als Sie es sich vorgestellt hatten. Dass das Paradies vielleicht mehr in einem selbst liegt, und nicht um einen herum. Mit etwas Einfühlung in die Sichtweise der Samoaner - so als Kontrapunkt zum europäischen Denken - gelingt es Ihnen dann vielleicht sogar, dass das Paradies in Zukunft immer dort ist, wo Sie gerade sind, egal wo, in Samoa, aber auch bei Ihnen zu Hause.

Also - in diesem Sinne: auf nach Samoa, das Paradies finden!