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Politik auf Samoanisch

In der samoanischen Gesellschaft sind Macht und Herrschaft fein verteilt, ganz anders aber als in Deutschland.

Zwei politische Systeme stehen nebeneinander, die eigentlich überhaupt nicht miteinander vereinbar sind:

1. das traditionelle Matai-System, ausgehend von den Familien und ihren Führern, gegründet auf Hierarchie, Unterordnung und Gehorsam.

2. das parlamentarische System englischer Prägung, gegründet auf einem allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrecht, mit formell gleichen Rechten für alle.

Das geht nicht ohne Reibung und Konflikte ab, ganz sicher nicht. Aber - es ist gelungen, beide Systeme in eine sinnvolle "Arbeitsteilung" zu bringen, die Samoa eine ansonsten in Ländern der Dritten Welt nahezu unerreichte politische und gesellschaftliche Stabiltät beschert.

"Alle Macht geht vom Volke aus", heißt es in europäischen Verfassungen, der einzelne Bürger ist die Einzelzelle der politischen Macht. Nicht so in Samoa. Hier ist es die Aiga, die samoanische Großfamilie, geleitet und nach außen repräsentiert durch die Matai, die Anführer der Familie.

Mehrere Familien, durch Verwandtschaft und gemeinsame Geschichte verbunden, bilden das Dorf; mehrere Dörfer, in ähnlicher Weise miteinander traditionell verknüpft, den Distrikt. Die Matai bestimmen das Leben in dieser Gemeinschaft, von der Familie bis zum Distrikt. Ihre Entscheidungen prägen das Leben jedes einzelnen Mitglieds der Gemeinschaft. Ihr Wort ist Gesetz, ebenso bestimmen sie Belohnung oder Strafe. Die Großfamilie ist Lebensmittelpunkt des einzelnen Samoaners, unter der Autorität der Matai.

Matai sind keine "Häuptlinge", wie es häufig übersetzt wird. "Familienführer" wäre das richtige Wort dafür. Jede Familie hat mehrere davon, nicht nur einen. Wer Matai wird, bestimmt sich durch Tradition und die Entscheidung der anderen Matai. "Bewerben" kann man sich dafür nicht, nur abwarten. Und der Familie dienen, beständig und mit eigenen Opfern. Nur wer Bescheidenheit gelernt hat, darf dann auch mit bestimmen.

Gewählte Körperschaften, so wie Gemeinde- oder Kreistage in Deutschland, gibt es in Samoa auf Gemeinde/Dorf- und Distriktsebene nicht, nur die Matai und ihre Versammlung, das Fono.

Auch eine zentrale Regierung gab es traditionell nicht in Samoa, nur die Matai-Räte in den Distrikten. Das samoanische Königtum, wie es kurzzeitig bestand, war eher repräsentativ und ohne eigentliche Macht. Die Zentralregierung verdrängt somit kein traditionelles Element samoanischer Politik, sondern ergänzt das traditonelle System.

Bindeglied zwischen beiden ist der "Pulenuu", eine Art Ortsvorsteher. Die deutsche Kolonialverwaltung hat dieses Amt eingeführt, sich dafür jeweils den kooperationswilligsten Matai ausgesucht. Heute bestimmt das Fono des Dorfes ihn. Der Pulenuu wird von der Zentralregierung über ihre Politik und Entscheidungen informiert, leitet diese Information an die Fonos weiter. In gleicher Weise vertritt er das Dorf gegenüber der zentralen Verwaltung. Zu bestimmen hat er nichts.

Die zentrale Regierung hat, wie schon in Kolonialzeiten, in den Dörfern nur sehr wenig Einfluß und vermeidet es auch weitgehend, sich dort einzumischen. Das ist und bleibt aber grundsätzlich ein Spannungsverhältnis.

Die gewählte Regierung und ihre Verwaltung werden in Samoa sehr konsequent nicht als "oberste", sondern nur als "zentrale" Instanz betrachtet, dafür zuständig, die allgemeinen Angelegenheiten der Infrastruktur zu regeln - Strom und Wasser, Straßen, Schulen, Grundbuch und Standesamt samt Paßwesen. Und die Vertretung des Landes nach außen. Verteidigung? Gegen wen? Samoa hat keine Armee.

Mehr - für einen Deutschen - eher ungewöhnliche Beispiele dafür, wer was entscheidet?

Für die meisten Samoaner - und gut drei Viertel von ihnen wohnt immer noch auf dem Lande - zählen nicht die Regierung in Apia, sondern nur Matais und Dorfrat als "Machthaber". Auch bei der Parlamentswahl. Die Kandidaten werden, wie in England, im Mehrheitswahlrecht gewählt. Listenwahl gibt es nicht. Wer die meisten Stimmen im Wahlbezirk auf sich vereinigt, ist gewählt.

Die Kandidaten stellen sich zuvor den Matais der Dörfer vor. Der Dorfrat entscheidet, für wen sich das Dorf entscheidet. Und die Matai erklären dann den stimmberechtigten Mitgliedern der Familien, für wen sie stimmen werden. Und das tun sie dann auch, obwohl die Wahl wirklich geheim ist und sie eigentlich anders abstimmen könnten als vorgeschrieben. Wäre allerdings ein schlimmer Ungehorsam und würde entsprechend geahndet, wenn es denn heraus käme. Bis vor etwa zehn Jahren konnten sowieso nur die Matai abstimmen.

Parteien und eine politische Werte- und Zieldiskussion im europäischen Sinne gibt es zwar in Ansätzen, doch sicher nicht in der Art und Weise wie in Europa. Grundsätzliche Richtungsentscheidungen stehen sowieso nicht an, ist man sich doch völlig einig in der Erhaltung der samoanischen Kultur als oberstem politischen Ziel. Und die ist Sache der Matai und des gesamten Volkes, nicht nur der Regierung.

So mögen Parlament und Regierung dann auch entscheiden, was sie wollen, gegen den einigen Widerstand der Matai könnten sie es nicht durchsetzen. Also werden solche Entscheidungen auch tunlichst vermieden.

Andererseits haben die Matai - der Familie und dem Dorf verbunden - meist auch wenig Interesse daran, selbst direkt zentrale Fragen der Politik zu bestimmen. Und wenn, dann gibt es ja den Weg über den Parlamentsabgeordneten. Man kennt sich ja gut.

So lange die Zentralregierung weiterhin für eine gute Infrastruktur sorgt und sich aus den Angelegenheiten der Dörfer heraus hält, wird es wenig Konflikte geben. Und wenn, dann werden diese nach samoanischer Art gelöst - durch lange Debatten und zähes Ringen um den Konsens. Direkte Konfrontation ist selten, "Sieger" und "Verlierer" ebenso. In einem kleinen Land wie Samoa ist jedem bewußt, dass man auch morgen noch miteinander leben muß, sich täglich begegnet. Und jemanden heute nachhaltig zu verärgern, kann sich morgen schon schon bitter rächen.

Das Ganze mag einem Europäer sehr "undemokratisch" vorkommen, formell betrachtet durchaus zu Recht. Denn jüngere Erwachsene ohne Matai-Titel in den Dörfern haben wirklich sehr wenig zu bestimmen, auch wenn sie zahlenmäßig wohl sogar in der Mehrheit wären.

Andererseits - und dies sollte sorgsam bedacht werden - schafft das samoanische System der Politik eine aktive Teilhabe so vieler Einzelner an der Macht, wie es kaum eine Demokratie je geschafft hat. Höchstens die Eidgenossenschaft der Schweizer. Denn es gibt viele Matai, um die 20.000 mindestens, wahrscheinlich mehr. Bei rund 100.000 Erwachsenen im Lande immerhin ein Fünftel der Bevölkerung. Nicht "Häuptlinge", so wie wir Deutschen es verstehen würden, nein, Führer und Repräsentanten der Familien. Die der Familie viel geben, sich ihren Interessen immer zu beugen haben.

"Der Weg zur Macht führt über das Dienen" heißt es in Samoa. Nur, wer dies beherzigt, hat eine Chance, Matai zu werden. "Bewerben" kann man sich dafür nicht ... Nur darauf warten und hoffen, dass die bisherigen Entscheidungsträger der Familie einen endlich für würdig erachten, auch zu ihnen zu gehören. Und es sind beileibe nicht nur Abstammung, Geld oder Bildung, die qualifizieren, ganz und gar nicht. Auch wer jahrelang "nichts weiter" getan hat, als die ganze lästige "Dreckarbeit" für Matai und Familie, genießt hohes Ansehen, wird anerkannt durch einen Mataititel.

Und ohne Mataititel ist man ein "Niemand" in Samoa, gesellschaftlich wie politisch. Denn wenn einen nicht einmal die eigene Familie für würdig erachtet, zu ihren Führern zu gehören, wie kann man dann qualifiziert sein, irgendwo anders mitzureden? Nur Matai können ins Parlament gewählt werden und man hat ohne Mataititel keine Chance auf Führungsposition in der Verwaltung, im Wirtschaftleben und in gesellschaftlichen Organisationen. Kein höherer Vorgesetzter, wo auch immer, der nicht Matai wäre. Welche Autorität sollte er denn haben, gar über "Untergebene", die selbst Matai sind ...

Das Mataisystem schafft für Samoa eine relativ breite Führungselite, qualifiziert durch das Votum der Familien des Landes. Verbunden mit dem parlamentarischen System auf zentraler Ebene sichert auch dies eine erkennbare Repräsentation des Einzelnen im politischen Leben. Ein individuelles Bewußtsein dafür, "Staatsbürger" zu sein, wie wir es aus Deutschland kennen, gibt es in Samoa eigentlich sowieso nicht. Die samoanische Gesellschaft besteht aus den Familien und Dörfern des Landes, nicht aus den einzelnen Einwohnern.

"Repräsentativ" im europäischen Sinne ist es daher nicht, dies politische System, aber durchaus fein ausgewogen. Kaum eine Chance für ehrgeizige, gar machthungrige Einzelgänger. Die breite Diskussion im ganzen Land, in Hunderten von Dorf-Fonos, zuvor in den "Führungszirkeln" der Familien, ist eine harte Prüfung. Was dabei heraus kommt? Beispielsweise, dass das samoanische Parlament wohl einen der höchsten Anteil an Akademikern hat in der Welt, Abgeordneten mit Universitätsstudium, meist im wirtschaftlichen oder juristischen Bereich. Weil die Matai in den Fonos der Meinung waren, dass so jemand wohl die beste Qualifikation hat, die komplizierten Fragen der Politik zu lösen, von Steuerrecht bis Außenpolitik.

Keine "repräsentative" Demokratie also, das politische System Samoas, sondern eher eine "elitäre". Wobei die "Elite" allerdings mindestens ein Fünftel der erwachsenen Bevölkerung umfaßt, nicht nur einige wenige Machtträger. Und die Kriterien für die Zugehörigkeit zur "Elite" sind sehr vielfältig.

Von "hoher" Abstammung zu sein, aus einer der traditionellen Führungsfamilien zu stammen, ist eines dieser Kriterien. Aber "Adel verpflichtet" auch, in Samoa weit mehr als in Deutschland. Einen "Pinkelprinz" würde es hier zu Lande wohl sicher nicht geben können. Schon am nächsten Tage wäre er Titel und Ansehen los.

Geld oder Bildung zu haben, aber auch "nur" besonderer Fleiß und Opferbereitschaft, sind weitere qualifizierende Faktoren für einen Mataititel.

Zusätzliches Element der "feinen Machtverteilung" ist weiterhin, dass nahezu alle Entscheidungen nicht in alleiniger Macht getroffen werden, sondern mit anderen diskutiert und abgestimmt werden müssen. Kaum jemand hat wirklich direkte Macht über mehr als zehn andere ...

Insgesamt ein sehr ausgewogenes politisches Gefüge, das allerdings kaum individuelle Mitbestimmung für Jeden garantiert. Doch ist es dies auch kein zentraler Wert der samoanischen Kultur und Gesellschaft. Einen Europäer mag dies sehr stören, aber - "andere Länder, andere Sitten". Samoa liegt eben doch näher am asiatischen Kulturraum als am europäischen.