Der "Faa Samoa"
- die samoanische Art

Im Samoanischen gibt es den Begriff "Faa Samoa", der sowohl "Samoanische Sprache" als auch "Samoanische Sitte" oder "Samoanische Art" bedeutet. Der "Faa Samoa" umfasst alles, was den Samoanern wert und eigen ist.

Logischerweise gibt es dann auch den "Faa Palagi", die Art des Fremden, meist bezogen dann auf die mehr oder weniger feine "Englische Art". Und die englische Sprache. Fremde sprechen eben Englisch.

Zum "Faa Samoa" gehören:
- die Regeln und Bräuche des Zusammenlebens in Familie und Dorf, einschließlich des
Matai-Systems
- die traditionellen Zeremonien, Tänze, Lieder, Mythen und Legenden
- die christliche
Religion und ihr Platz im Leben der Samoaner
- die samoanische Sprache

Insgesamt ist der Faa Samoa aber DER Ausdruck samoanischer Identität, die immer zugleich auch die Identität jedes Samoaners und jeder Samoanerin ist.

Im Samoa Observer, der samoanischen Tageszeitung, stand Mitte April 2001 eine Karrikatur, von einem Samoaner gezeichnet und getextet. Zu sehen sind zwei Männer im Gespräch, mehr nicht. Sie sprechen miteinander (Originalzitate in Englisch, eigene Übersetzung):

A to B:  'People would love to know how we do it here in Samoa ...' Die Leute würden gerne wissen, wie wir es hier in Samoa machen ...
B to A:  'Why do they do it different elsewhere?' Warum, machen Sie es anders anderswo?
A to B:  'I have heard it is done differently everywhere' Ich hörte, es würde überall anders gemacht
B to A:  I didn't think it could be done any other way, that's just not right ...' Ich denke nicht, dass man es anders machen könnte, das wäre einfach nicht richtig
A to B:  'Not right, are we talking about same thing, what are you talking about? Nicht richtig - reden wir über das Gleiche, wovon redest Du eigentlich?
B to A:  'You know, everything. If it is not done the SAMOAN WAY it's not been done!" Weißt Du - eben alles. Wenn es nicht auf die SAMOANISCHE ART gemacht wird, ist es überhaupt nicht gemacht!

Und genau darum geht es beim Faa Samoa - er ist Ausdruck samoanischen Lebens schlechthin. Gemeinschaft, Einordnung, Respekt sind die traditionellen Grundwerte, die christlichen Werte, wie Glaube und Nächstenliebe, haben den Faa Samoa erweitert und ergänzt, nicht verdrängt. 

Das wirklich Einmalige am Faa Samoa ist, dass er als gemeinsame Kulturleistung aller Samoaner in aller Welt erhalten und gepflegt wird. Niemand, weder eine Einzelperson, noch eine Gruppe, "bestimmt", was dazu gehört und was nicht. Aber es wird immer diskutiert, ist der zentrale Wert aller Samoaner. Man sieht es auch in politischen Diskussionen, wo es nahezu nie um Personen und ihre Standpunkte geht - sowas interessiert niemanden, sondern praktisch immer um die Frage, ob etwas "samoanisch" ist oder nicht - sowas interessiert jeden. Richtig oder falsch entscheidet sich allein an der Antwort auf die Frage, ob etwas der Samoanischen Art entspricht oder eben nicht. Ungefähr so, als wenn Deutsche oder gar Amerikaner darüber diskutieren, ob etwas die Würde oder die Rechte des Einzelnen verletzt, als dem zentralen Wert der westlichen Kulturen. In Samoa ist das nicht wichtig, da zählt nur, ob etwas sich einordnen läßt in die Art der Samoaner..

Der Faa Samoa und die Unabhängigkeit der Samoaner, selbst und allein zu bestimmen, was das ist, steht weit über allen anderen Werten und Zielen der Menschen in Samoa. Weder den Missionaren, die blitzschnell integriert wurden, noch den Kolonialherren, die überwiegend verachtet und ausgelacht wurden, ist es gelungen, daran auch nur das kleinste Bißchen zu ändern. Für Samoaner sind deren Werte und Ziele nicht wichtig, sie haben ihren eigenen, samoanischen Weg. Nur für sich auch - sie missionieren ihn nicht, haben nicht das Gefühl, dass "am samoanischen Wesen die Welt genesen" solle, wie es die Deutschen früher einmal so großspurig über das "deutsche Wesen" verkündeten. Oder wie die Amerikaner ihren "American way of Life" der ganzen Welt verkaufen wollen.

Es ist für einen Außenstehenden kaum nachvollziehbar, mit welch' spontaner Geschlossenheit alle Samoaner sofort zusammen stehen, wenn irgend jemand anders versucht, den Faa Samoa anzugreifen oder auch nur zu kritisieren. Das war nicht nur zu Zeiten der Mau so, der samoanischen Unabhängigkeitsbewegung.

Mitte der 1960er Jahre wollte die samoanische Regierung, der ständigen Besserwisserei ausländischer "Ratgeber" der früheren Kolonialherren überdrüssig,  ein Zeichen samoanischer Unabhängigkeit setzen. Man nahm kurzer Hand diplomatische Beziehungen zu Rotchina auf. Basta. Damals ein wirklich unerhörter Vorgang, die deutsche Bundesregierung hätte sich das nie getraut.

Das war auch nicht unstrittig in Samoa selbst und es gab viele Diskussionen und Bedenken. Aber - als Neuseeland und die USA mit Strafe drohten, Streichung der Entwicklungshilfe und so etwas, verstummte die innenpolitische Kritik sofort. Man stand augenblicklich geschlossen zusammen, OHNE dass es dazu der Aufforderung von irgend jemandem bedurft hätte. So etwas braucht niemand einem Samoaner zu sagen, das weiß er oder sie von ganz alleine. Man tut es auf die samoanische Art oder es ist nicht getan. Was? Na, eben alles!

"Kunst" im europäischen Sinne fällt übrigens nicht unter den "Faa Samoa", weil sie als Einzelleistung vollbracht wird, selbst im Ensemble. Der "Faa Samoa" ist immer etwas Gemeinschaftliches, wird von allen geteilt, hat keine Darsteller und Zuschauer.

Dennoch gibt es ein sehr interessantes Kulturleben im eher europäischen Sinne - Musik, Theater, Literatur und darstellende Kunst. Meist traditionell Samoanisches, neu gestaltet oder mit anderen Kultureinfluessen gemischt. Bei der Wahl zur Miss Samoa 2000 beispielsweise hat eine der Kandidatinnen, von einem irischen Grossvater abstammend, einen samoanischen Tanz getanzt, wobei die Musik auf irische Art, mit Fiedel und Flöte, gespielt wurde. Absolut faszinierend.

Begeistert aufgenommen, aber jeder Samoaner würde entrüstet zurückweisen, daß dies "Faa Samoa" gewesen sei. Ebenso wie ein wundervolles Aquarell, das ein traditionelles Tätowierungsmotiv zeigt. Inhalt und Form müssen genau der Tradition entsprechen; Individualität und freie Weiterentwicklung wird nicht akzeptiert, wenn es um den "Faa Samoa" geht.

Das jährliche Bootsrennen aber ist "Faa Samoa", obwohl die Boote, Fautasi, genannt, überhaupt nicht traditionell Samoanisch sind, eigentlich. Fünfzig Mann, jeweils zu zweit nebeneinander, in einem langen Boot. Das wird mit Riemen gerudert. Walfängerboote sind das. Samoanische, überhaupt polynesische Kanus wurden nur gepaddelt, etwas anderes hat es im Südpazifik nie gegeben. Aber - noch vor zwanzig Jahren hatte jedes Dorf am Meer sein Fautasi-Boot, wetteiferten die jungen Männer in immer neuen Rennen. Die Taupou tanzte, der Pfarrer segnete, die Matai belohnten Siege. Voll integriert in die Gemeinschaft und also "Faa Samoa".